Nebender Gaskriserollt eine zweite Herausforderung auf Europa zu: der Inflation Reduction Act(IRA), den US-Präsident Joe Biden am 12. September unterzeichnet hat. Dabeihandelt es sich um ein gigantisches Subventionsprogramm für saubere Energien,das Investitionen aus aller Welt in Richtung USA lenken soll und denkonzeptionellen klimapolitischen Vorsprung Europas auszuhebeln droht. Deutschland und die EU müssen darauf schnell eine wirksame Antwort finden.
DerIRA ermöglicht zehn Jahre Steuererleichterungen im Bereich klimaneutralerTechnologien. Durch „tax credits“, die ihre Wirksamkeit bereits bei derFörderung von Windkraftanlagen oder Schiefergas unter Beweis gestellt haben, könnte der Wasserstoffpreisin manchen Teilen der USA schon bald auf 0,39 Dollar pro Kilogramm sinken,umgerechnet knapp über ein Cent pro Kilowattstunde. Der Vergleichmit der deutschen Erdgas-Preisbremse, die den Preis für die Industrie auf sieben Cent deckeln soll, veranschaulicht die zusätzliche Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, die das Ende der günstigen Energiedurch russisches Erdgas noch nicht annähernd verdaut hat.
Industrieplayer imWasserstoff-Bereich wie Air Products, Linde, Mitsubishi, der britischeTechnologiekonzern Johnson Matthey, das chilenisch-amerikanischeefuel-Unternehmen HIF oder das Grün-Gas- Unternehmen Tree Energy Solutions (TES)prüfen bereits Investitionen in den USA aufgrund des IRA oder haben schonentsprechende Entscheidungen getroffen. Das alte Muster aus der Energie- und Digitalwirtschaft droht sich zu wiederholen: Technologien, die in der „alten Welt“ hervorgebracht wurden, werden in der „neuen Welt“ schneller undentschiedener umgesetzt.
Währendman bei uns seit Jahren den Wasserstoff-Hochlauf fordert, ihn aber durch staatlichesMikromanagement und überzogene Anforderungenbremst – zum Beispiel dadurch, dass bei uns nur „grüner“ (also auserneuerbaren Energien hergestellter) Wasserstoffförderungsfähig sein darf, setzendie USA – wie zum Beispiel auch Australien und Japan – auf „sauberen“, dasheißt klimaneutral hergestellten Wasserstoff, gleich ob er aus Erdgas,Biomasse oder Nuklearenergie gewonnen wird.
Diebei solchen Prozessen zur Klimaneutralität notwendige Abscheidung und Nutzungvon Kohlendioxid (CCUS) wird ebenfalls durch den IRA subventioniert.Auch schreibt niemand in den USA vor, ob Wasserstoffnur der „Champagner derEnergiewende“ in einer ansonsten „all electric“-Welt sein darf, oder ob er breiteAnwendung auch im Heizungsmarkt oder der Mobilität findensoll.
Beiuns in Europa verbietet man den Verbrennermotor, ignoriert dabei aber,dass nicht der Motor, sondern der (fossile) Kraftstoffder Klimaübeltäter ist.So entledigen wir uns der Chance, mit der hochentwickelten europäischenVerbrennertechnologie klimaneutral produzierte synthetische Kraftstoffeim Straßenverkehr zu nutzen.
InEuropa entscheiden Ministerien und Generaldirektionen mit heutigem Kenntnisstand darüber, ob und welche Technik im Jahre 2035 effizient undklimaneutral sein kann. In Amerika gewährt der Staat umfangreicheklimapolitische Steuervergünstigungen, überlässt aber die konkrete Umsetzungder Technik dem Markt. So wird das Ziel der Klimaneutralität mit ziemlicherSicherheit schneller erreicht als durch das (zumeist gut gemeinte)bürokratische Mikromanagement in Europa. Amerikanischer Pragmatismus schlägtden europäischen Hang Europas zu „reiner Lehre“ und Gründlichkeit.
Nochkönnen wir gegensteuern. Zunächst muss die Kraftdes europäischenBinnenmarktes entfaltet werden. Eine europäische Wasserstoff-Union fußt auf der EU-weiten Handelbarkeit von Wasserstoff und – wie von Olaf Scholz inseiner europäischen Grundsatzrede beschworen – einem europäischenWasserstoffnetz unter Nutzung der bisherigen Gasinfrastruktur. So würdenwir den größten Wasserstoffmarkt der Welt schaffen. Dem bestehenden Gasnetzkönnte schrittweise aus erneuerbaren Energien im Sonnengürtel unserer Welt produziertes grünes Gas (synthetisches Methan) und/oder Wasserstoffzugemischtwerden. Grünes Gas kann schon sehr bald Erdgas ersetzen, wenn wir Ingenieureund Unternehmen Freiräume geben und der Staat sich auf Rahmensetzung mitklugen Anschubfinanzierungen beschränkt.
Beiuns besteht Einigkeit, dass Klimaschutzverträge (CCfD) für bestimmteBranchen – zum Beispiel Stahl – die erforderliche Transformation in RichtungWasserstoffbefördern. Aber die Projekte kommen bisher aufgrund komplexerEntscheidungswege in Brüssel und Berlin kaum voran, der grüne Stahl wirdin den USA schneller kommen als bei uns.
Löstman die Bremsen bei der Schaffung der Europäischen Wasserstoff- Union, bei derUmsetzung der vielen bereits geplanten Infrastruktur- Projekte und bei derUmstellung auf Industrie-Wasserstoff, entledigt man sich der Scheuklappenbei der Wasserstoff-Farbenlehre, dann wird die europäischeWasserstoff-Wirtschaftrapide Fahrt aufnehmen. So könnte die Voraussetzung fürein transatlantisches Freihandelsabkommens auf dem Gebiet erneuerbareEnergien und Wasserstoffgeschaffen werden. Europäische Wasserstoff-Unionund neues Klima-TTIP als Antwort auf die IRA! Die Ampel-Koalition hat zu erkennen gegeben, dass sie in diese Richtung denkt.
Einenersten Schritthierzu könnte und sollte die Bundesregierung beim Treffen desgemeinsamen EU-Handels- und Technologierates am 5. Dezember gehen. Hier hatauch die neu gegründete transatlantische Arbeitsgruppe die Möglichkeit zudemonstrieren, wie aus der Krise ein gemeinsames, transatlantisches Projektentstehen kann, das dann wirklich als Vorbild für die Welt dient.