Technologische Souveränität Europas im All. Braucht Europa strategisch einen autonomen Zugang zum Weltraum?

Die weltraumbasierte Infrastruktur um unseren Planeten leistet vielfältige und überaus wichtige Aufgaben, welche zum Funktionieren hochmoderner Industriegesellschaften unabdingbar sind. Dies gilt nicht nur für ein fehlerfreies Funktionieren von Energieversorgung, Geldautomaten, Navigation oder Börsenhandel: Ohne die über Satelliten gewonnen Daten sind auch globaler Verlauf und regionale Folgen des Klimawandels bedeutend schwerer zu erfassen. Das zuverlässige und nachhaltige Funktionieren dieser weltraumbasierten Infrastruktur zu gewährleisten ist damit in vielerlei Hinsicht überlebenswichtig für die menschliche Zivilisation. Gleichzeitig geht die Bedeutung des Weltraums für die Menschheit über die reine Nutzung von Satelliten zu politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder militärischen Zwecken hinaus, wie die konkreten Initiativen zur Entwicklung von Weltraumtourismus oder Astrobergbau, staatlichen Plänen für eine prestigeträchtige Rückkehr des Menschen zum Mond oder privatwirtschaftliche Aktivitäten zur Kolonialisierung des Mars verdeutlichen. 

Der Schwerpunkt der Studie

Aufgrund der schwer zu überschätzenden Bedeutung des Weltraums für unser alltägliches Leben wird sich das CASSIS in der 6-monatigen Studie mit der Fragestellung beschäftigen, inwiefern Europa aus strategischer Sicht einen autonomen Zugang zum Weltraum braucht. Die Beantwortung der Fragestellung ist in der europäischen Raumfahrtbranche durchaus umstritten. Um der thematischen Komplexität der Ausgangsfrage Rechnung zu tragen, werden zur Beantwortung der Fragestellung drei verschiedene Szenarien hinsichtlich des Zugangs Europas zum All herangezogen sowie miteinander hinsichtlich der jeweiligen Pro- und Contra-Argumente verglichen. Neben der ausführlichen Literaturrecherche werden zur adäquaten Beantwortung der Fragestellung semistrukturierte Interviews mit einer Vielzahl an Experten geführt werden. Dabei werden Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Industrie, Militär & Sicherheit, zivile öffentliche Bedarfsträger sowie internationale Experten, in Form von Angehörigen anderer nationalen Weltraumagenturen, interviewt. Mithilfe dieses Vorgehens können unterschiedliche Perspektiven bestmöglich berücksichtigt, was wiederum eine nuanciertere Beantwortung der Fragestellung zulässt. Ziel dieses Projekts ist es, zu ermitteln, welches der drei verschiedenen Szenarien aus strategischer Sicht am besten für den Zugang Europas zum All geeignet ist.

Die verschiedene Szenarien

Szenario 1 behandelt die Fortführung des aktuellen Ariane-6-Modells, also der Bau und der Betrieb einer institutionell unterstützten Trägerrakete mit staatlichen Förderungen und Subventionen für die nächsten Generationen europäischer Trägerraketen.

Szenario 2 widmet sich der Deckung der europäischen institutionellen Nachfrage nach Startdienstleistungen über ausschließlich markt- und wettbewerbsorientierten Einkauf von kommerziellen Startservices europäischer Anbieter. In diesem Szenario würde nicht mehr nur die ArianeGroup Trägerraketen für die ESA entwickeln, sondern die ESA würde Startdienstleistungen auf dem europäischen Markt einkaufen und so zum Kunden werden. Dieses Szenario ist angelehnt an das Vorgehen der NASA in den USA, denn die amerikanische Weltraumbehörde stellt mittlerweile keine eigenen Raketen mehr her, wie noch zu Zeiten des ersten Space-Races, sondern kauft diese nun am Markt (SpaceX) ein. 

Szenario 3 beschäftigt sich mit der Deckung der institutionellen Nachfrage nach Startdienstleistungen über ausschließlich markt- und wettbewerbsorientierten Einkauf von Startdienstleistungen auf dem globalen Markt. In diesem Szenario würde die ESA den Bau einer Rakete nicht mehr institutionell unterstützen, sondern die Startdienstleistungen auf dem globalen Markt einkaufen.


Bei der Entwicklung der Fragestellung der Studie sowie der Bearbeitung der drei Szenarien ist das CASSIS dankbar, im Rahmen der unabhängigen wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas u.a. auch auf die Expertise und Unterstützung der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR zurückgreifen zu können. Mit der politikwissenschaftlichen Expertise des CASSIS und der weltraumpolitischen Expertise u.a. der Raumfahrtagentur bietet die Studie die einzigartige Möglichkeit, sich in fruchtbarer Kooperation von Wissenschaft und Praxis der wissenschaftlichen Beantwortung der Frage des strategisch autonomen Zugangs Europas zum Weltraum zu nähern. Das CASSIS ist dabei nicht im Auftrag der Raumfahrtagentur tätig und in seinen Schlussfolgerungen frei. Die Erstellung der Studie erfolgt unabhängig und allein nach wissenschaftlichen Standards.


Team

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Dr. Enrico Fels

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Laurin Schulze

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